Aggression gegen Familienmitglieder
Da immer mehr Leute mit dem Problem zu mir kommen, dass ihre Hunde ihnen gegenüber Aggressionen zeigen, möchte ich gerne auf dieses Problem näher eingehen.
Aggressionen gegen Familienmitglieder resultieren häufig aus dominanzbezogener Konkurrenz Aggression.
Wenn Hund und Besitzer konkurrieren …..
- Wenn ein Familienmitglied sich dem Hund nähert und dieser
gerade einen Knochen oder ein Spielzeug hat, oder aber sogar
versucht, ihm diese Sachen wegzunehmen...
- Auch ein "Lieblingsmensch" oder ein anderer Hund kann
konkurrierendes Verhalten
auslösen…
- Konkurrenz um Ruheplätze, das heißt, wenn ich den Hund beim
Schlafen störe oder auch nur an seinem Ruheplatz vorbeigehe…
- Das Entgegenkommen im engen Flur oder der Eintritt in ein
Zimmer…
So kann diese Dominanz Aggression auslösen:
Wenn wir uns jetzt einmal das Dominanzverhalten eines Hundes gegenüber einem anderen Hund vor Augen halten, müssen wir uns eingestehen, dass wir uns unseren Hunden gegenüber aus deren Sicht, sehr oft
dominant verhalten und daraus wieder Dominanz-Aggression entstehen kann.
Aus Hundesicht verhalten wir uns schon dominant, wenn wir uns z.B. über ihn beugen oder nach ihm greifen; oder auch beim Anfassen von Pfoten und Kopf; beim Hochheben des Hundes; ihn schubsen; beim
Umlegen eines Halsbandes oder dem Ziehen an der Leine; beim Anstarren; beim Ausschimpfen; sowie beim Schlagen.
Und jetzt kommt’s: auch das Streicheln, Liebkosen, Bürsten, Baden und das Abtrocknen können vom Hund als dominant empfunden werden.
Wir müssen also davon ausgehen, dass der Hund seine menschliche Familie als sein Rudel sieht und er reagiert auf menschliches Verhalten, als sei es Hundeverhalten. Er denkt also, dass sein Besitzer
ihn mit seinem Verhalten herausfordern will und benimmt sich auch so wie sich ein dominanter Erwachsener in einem Hunderudel einem untergeordneten Hund benehmen würde.
Leider tragen bestimmte Verhaltensweisen der Besitzer gegenüber dem Hund zur Entstehung der Probleme bei. Die Neigung des Hundes zu dominant-aggressivem Verhalten wird durch das Vermenschlichen und
nur "nett sein“ des Besitzers gegenüber dem Hund bestärkt oder sogar erst hervorgerufen.
Wenn wir uns mal ansehen, wie die meisten Besitzer es ihren Hunden recht machen wollen, mit ihnen spielen, wenn es der Hund verlangt. Beim Spaziergang gehen sie dorthin, wohin der Hund will; lassen
ihn an der Leine ziehen und wenn er stehen bleiben will, wird auch das akzeptiert; wenn er im Weg liegt, wird er nicht weggescheucht, nein, es wird ausgewichen; er darf betteln und natürlich wird er
sich bitten lassen um einen Befehl auszuführen, wenn er dann überhaupt gehorcht. Aber es wird so hingenommen
Auch wenn er seine Spielsachen oder sein Futter mit Knurren verteidigt, wird er nicht gemaßregelt. Und bei jedem "Tauziehen", das der Hund gewinnt, wird er in seinem hohen Rang bestätigt.
Spätestens jetzt, glaube ich, darf man sich nicht mehr wundern, wenn der Hund glaubt, er gehöre zu den "Ranghöheren" in der Familie und ist nicht das rangniedrigste Mitglied, was aber, gerade bei
Hunden, die sowie schon schwierig in ihrem Verhalten sind, so sein müsste.
Diese Faktoren sind natürlich nicht die Hauptursache für Dominanz-Aggression, aber sie tragen sehr wohl zur Verschlimmerung bei.
Welche Faktoren also bei Dominanz-Aggression eine Rolle spielen, möchte ich hier noch kurz zusammenfassen:
- Genetische Prädisposition (Faktoren).
- Hormoneller Einfluss: Bei Rüden kann dieses Problem vermehrt
auftreten. Bei Hündinnen, denen die Eierstöcke entfernt
wurden, kann gelegentlich eine Verschlimmerung des Problems
auftreten. Bei kastrierten Rüden kann das Problem zeitweise
verringert werden.
- Unzureichende Dominanz des Besitzers.
- Unabsichtliche Förderung durch den Besitzer - z.B. wenn der
Hund auf dem Sofa liegen darf oder wenn man ihn streichelt,
wenn er es will.
- Unabsichtliche Verstärkung durch den Besitzer: Wenn sich der
Besitzer seinem Hund nähert und dieser daraufhin den
Futternapf mit einem Knurren verteidigt und der Besitzer
zurückweicht und den Hund in Ruhe lässt, hat er somit das
aggressive Verhalten seines Hundes verstärkt.
- Fehlen einer angemessenen Bestrafung durch den Besitzer.
- Irrglaube des Besitzers: Wenn der Besitzer glaubt, dass es
normal ist, wenn der Hund ihn anknurrt oder nach ihm
schnappt.
Autorin: Michelle Michenthaler (Verhaltenstherapeutin für Hund und Pferd)
PAP 2/2012